Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben?
Warum die Produktion von Agrotreibstoffen keine Lösung für die globalen Klimaprobleme bedeutet, sondern bestehende soziale und ökologische Probleme verschärft und neue schafft.
Von Reto Sonderegger aus Asunción, Paraguay
Der Amazonasregenwald brennt derzeit an 70.000 Stellen. Die grüne Lunge des Planeten wird immer löchriger und trockener. Der Verlust von Biomasse durch die Abholzungen und Brandrodungen für die Ausdehnung der Anbauflächen für Soja und Zuckerrohr oder neue Weiden für die extensive Viehhaltung hat die Evapotranspirationleistung drastisch vermindert. Die Wolkenbildung bleibt aus und somit logischerweise auch der Regen. Dies bedeutet Produktionsverluste für die Landwirtschaft und droht, den austrocknenden Restamazonas in einem infernalischen Riesenfeuer in den nächsten Jahren gänzlich zu vernichten.1
Anstatt den ungeheuren Energieverbrauch in der Konsumgesellschaft des Nordens in Frage zu stellen, versucht eine unheilige Unternehmensallianz, die grossen Player aus Agrobusiness, Automobil- und Erdölindustrie plus Biotechsektor, den Verbrauch von Agrotreibstoffen als umweltbewusste Grosstat zu verkaufen. Doch wenn sich Syngenta, Ford, Cargill und Shell plötzlich zur ökologischen Avantgarde zählen, sollten wir misstrauisch werden. Mehr als pseudogrüne Argumente sind es Hoffnungen auf hohe Kapitalrenditen, die die Milliardeninvestitionen in Brasilien, Argentinien oder Paraguay beflügeln.
Als Biobauern und -bäuerinnen wissen wir um die Folgen monokulturellen Anbaus. Aber als SchweizerInnen können wir uns die Dimensionen in den grossen Agrarländern schlicht nicht vorstellen. Doch Zuckerrohrfelder von 40.000 Hektar sind keine Seltenheit in Brasilien und in Argentinien kann man stundenlang Auto fahren und nichts als Soja sehen. Der Pestizidverbrauch ist in diesen Ländern in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen – entgegen der Versprechen der Gentechindustrie, mit ihrem patentierten Saatgut die Menge benötigter Pflanzenschutzmittel zu senken. Monokulturen bedeuten mehr Schädlinge und Krankheiten, vor allem wenn rundherum die letzten Redukte mit hoher Artenvielfalt zerstört werden.
Soja in Paraguay: Landflucht, Gewalt und Umweltzerstörung
In den Kernregionen des Sojanbaus in Paraguay, im Departement Alto Paraná, sind die Zuflüsse zum Itaipú-Stausee, dem grössten der Welt, biologisch weitgehend tot dank Glifosat, Endolsulfan und Paraquat. Dutzende kleinbäuerliche Siedlungen wurden durch die Monokulturen geschluckt. Ab und zu kann man die Kreuze eines Friedhofes ausmachen, wenn man aufmerksam die vorbeiziehende, eintönige Landschaft beobachtet. Zehntausende Kleinbäuerinnen und Kleinbauern verlassen jährlich ihre Parzellen und ziehen in die städtischen Zentren Paraguays, in die argentinische Hauptstadt Buenos Aires oder gleich nach Spanien. Der ländliche Raum wird regelrecht entvölkert und in eine menschenleere „grüne“ Wüste verwandelt. In Argentinien braucht es mit Spitzentechnologie (Soja RR, Glifosat und Direktsaat) auf 1000 Hektar zwei Arbeitskräfte pro Jahr. Oft werden Mitglieder von Bauernorganisationen, welche die Gemeinden gegen die Monokulturen organisieren, eingeschüchtert und im schlimmsten Fall ermordet. Seit dem Ende der Strössnerdiktatur 1989 wurden in Paraguay über 100 Bauern in Landkonflikten ermordet. Neben den Campesinos musste auch der transatlantische Regenwald weichen. War vor 50 Jahren noch über die Hälfte der Ostregion von Wald bedeckt, sind es heute unter fünf Prozent.
Zuckerrohr in Brasilien: Arbeitsbedingungen wie zu Zeiten der Sklaverei
Anders als der Sojaanbau schafft die Produktion von Zuckerrohr Arbeitskräfte. Aber was für welche! In Brasilien werden Tausende Habenichts aus dem hungernden Nordosten als Zuckerrohrschneider rekrutiert und in die endlosen Felder Sao Paolos zur Ernte geschickt. War das Tagessoll vor 30 Jahren noch bei 3 Tonnen, ist es heute vielerorts bei 12 Tonnen. Es werden Rekordleistungen von bis zu 20 Tonnen pro Tag reportiert. Dass dies nur die kräftigsten Männer in den Zwanzigern schaffen, ist offensichtlich. Oft wird ein Teil ihres Lohnes in Crack bezahlt, dem hochgiftigen und abhängig machenden Derivat aus der Kokainproduktion. Vor der Ernte werden die Felder zur Abreifung mit dem Herbizid 2,4 D besprüht, Bestandteil des im Vietnamkrieg eingesetzten Agent Orange. Danach werden die Felder abgebrannt, was dioxinhaltige Wolken entstehen lässt und Atemwegserkrankungen epidemischen Ausmasses in den betroffenen Gebieten verursacht.
Joao Pedro Stedile, der führende Kopf der brasilianischen Landlosenbewegung MST, pflegt immer folgendes Beispiel zu bringen, wenn es um die sozialen Folgen der Zuckermonokulturen geht: „Die Gemeinde Ribeirao Preto im Zentrum Sao Paolos wird wegen seines hohen technologischen Standes in der Zuckerproduktion als brasilianisches Kalifornien betrachtet. Vor 30 Jahren produzierte diese Stadt noch Lebensmittel jeglichen Typs, es gab eine grosse Bauernschaft im Landesinnern und tatsächlich war es eine wohlhabende Region mit ausgeglichener Einkommensverteilung. Heute ist sie ein unendliches Zuckerrohrfeld mit 30 Fabriken, die das ganze Land kontrollieren. Von einer halben Million EinwohnerInnen leben über 100.000 in den Elendsvierteln. Es gibt 3813 Gefängnisinsassen, während in der ganzen Region noch 2412 Personen von der Landwirtschaft leben (inklusive Kinder). Das ist das Gesellschaftsmodell der Zuckermonokultur. Es gibt mehr Leute im Gefängnis als in der Landwirtschaft!“
Kolumbien: Oelpalmen für Paramilitärs
In Kolumbien wachsen die Anbauflächen der Oelpalme auf Kosten des Urwaldes rasant. Im Rahmen der Entwaffnung und „Befriedung“ der paramilitärischen Banden, die Tausende von Bauern und Bäuerinnen als vermeintliche Guerillas brutal ermordeten, verteilt die Regierung Land an ehemalige Paramilitärs und befreundete Unternehmer. In Kolumbien wurden vier Millionen Menschen von ihrem Land vertrieben und in interne Flüchtlinge verwandelt. Doch legal gehört das Land ihnen. Nach wie vor haben sie die kollektiven Landtitel und eine entschlossene Minderheit unter ihnen organisiert mit dem Schutz von Menschenrechtsorganisationen und Entscheiden internationaler Gerichte ihre Rückkehr. Doch auf ihrem Land haben sich grosse Unternehmen angesiedelt und die ehemaligen Paramilitärs werden als Aufpasser in den Plantagen eingesetzt. Der Paramilitärkommandant „Rodrigo“ erklärte am 1. September 2003 gegenüber der Zeitung „El Tiempo“, dass „die Palmölprojekte vor Blut, Elend und Korruption triefen. Die Art, wie die Ländereien und das angeblich aus Agrarkrediten stammende Geld angeeignet wurden, sind Bestandteil einer Geldwäscherkette des Drogenhandels aus Strohmännertum, gewaltsamer Vertreibung, Tod und Gewalt“. Dennoch fällten zurückkehrende Familien unter internationalem Schutz Anfang August in Curvarado 45 Hektar Oelpalmen und säten auf den befreiten Flächen Mais und Bohnen für den Eigenkonsum.
In diesem Sinne konzentriert sich der Kampf der lateinamerikanischen Campesinos immer mehr auf die Bewahrung oder das Zurückgewinnen des Territoriums und nicht nicht nur auf das Recht, ein Stückchen Land für seine Familie zu bebauen. Der Kampf ums Territorium umfasst tiefe historische, kulturelle, kommunitäre, ökologische und spirituelle Dimensionen. Dabei geht es untrennbar um die Rettung ganzer Oekosysteme und die Respektierung der fundamentalen Menschenrechte derjenigen, die diesen geographischen Raum als Teil des Ganzen bewohnen.